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Mulhacén 2.0 – leichtsinnig, dumm, gefährlich

Der Wecker klingelt um acht, Nina springt auf und schaltet ihn mit den Worten: “ich kann noch nicht fahren!“ aus. Für mich das Signal, dass ich liegen bleiben kann. Wir sind ja auch schließlich erst vor drei Stunden ins Bett gegangen. Heute ist der große Tag! Wir kehren in die Sierra Nevada zurück um den großen Mulhacén zu bezwingen! Ich freue mich riesig, das hat mich die letzten Wochen echt gewurmt, dass ich es nicht beim ersten mal geschafft habe. Heute laufen wir uns ein und morgen werden wir es ihm zeigen!

 Aufbruch zum Startpunkt: Trevélez

Als wir uns endlich aus dem Bett geschält haben, gehen wir schnell einen Kaffee trinken, die Zeit muss sein, danach fahren wir einkaufen und gefrühstückt wird im Auto. Gegen 12 startet unsere Mission Mulhacén 2.0! Zur Musik von AC/DC´s „Touch Too Much“ fährt unser kleiner Corsa auch direkt etwas schneller. Die Stimmung ist gut und wir sind voller Vorfreude auf unseren gemeinsamen Trip. Als wir Granada passieren sehe ich die weißen Gipfel der Sierra Nevada, das habe ich mir schon gedacht, dass mittlerweile in diesen Höhen Schnee liegt. Um 15:30 Uhr erreichen wir Trevélez. Viel Zeit zum Laufen bleibt nicht mehr, aber egal, wir schauen wie weit wir kommen. Wir packen um, alles was wir nicht brauchen bleibt im Auto und eine halbe Stunde später sind wir dann endlich unterwegs.

 Übernachtung auf 2400 m

Um ziemlich genau 18 Uhr erreichen wir die Schutzhütte. Wir beschließen hier zu bleiben, die Hütte bietet Schutz vor Wind und Kälte und hier oben ist es schon ziemlich frisch. Nina sammelt Feuerholz, während ich unser Lager herrichte. Das Zelt legen wir zur zusätzlichen Isolierung unter unsere Isomatten, es wird in der Nacht wahrscheinlich noch kälter. Nina entfacht das Feuer, sie hat auch etwas Kuhscheiße mitgebracht, denn es gibt zwar Holz, aber nicht in Massen, also müssen wir uns irgendwie anders helfen. Dieser Kuhdung verursacht ganz schön beißenden Qualm, das muss man an dieser Stelle mal erwähnen, aber er wärmt!Verschiedenes 100 (800x533)Verschiedenes 104 (800x533)

Wir kochen Spaghetti und so chinesische Nudeln, schmeckt gewöhnungsbedürftig, weil sie pappig und ungewürzt sind, aber da wir heute noch nicht viel hatten und wir morgen fit sein müssen wird gegessen was auf den Tisch kommt. Um 20 Uhr verkriechen wir uns in unsere Schlafsäcke und hoffen auf eine ruhige und nicht ganz so kalte Nacht.

 Die Mission beginnt

Um kurz nach sechs sind wir auf den Beinen. Wir machen uns Frühstück, trinken was Warmes und anschließend räumen wir unseren Lagerplatz auf. Wir beschließen einen Rucksack in der Hütte zu lassen, den wir auf dem Rückweg abholen, somit haben wir etwas Gewicht gespart.Verschiedenes 112 (800x533)

Obwohl ich den Weg bis hierhin kenne, nehmen wir den falschen, was aber erstmal egal ist, denn alle Wege führen zu den großen Bergen. Nach einer Weile beginnt es leicht zu regnen, wir bleiben stehen und Nina schaut besorgt zu den weißen Gipfeln. „Es sieht so aus, als käme da eine Kaltfront“, meinte sie. Nee, nicht noch mal abbrechen, ich fahre nicht ein zweites mal hierhin um dann doch wieder zu gehen! Ich bin optimistisch, dass sich das Wetter doch noch zum Guten wendet. Wir setzen unseren Weg wortlos fort…

 Wir werden zu Marionetten des Windes

Der Wind frischt auf und je höher wir kommen, desto kälter wird es. Nina hat eine Winterjacke dabei und gibt mir dafür ihre Kapuzenjacke, denn ich fange an zu frieren. Dann erreichen wir die Schneegrenze! Zuvor habe ich zu Hause noch groß erzählt, dass ich auf keinem Fall über Schneefelder gehen werde, aber dieser Vorsatz geriet nun, wo es soweit war, in Vergessenheit. Verschiedenes 118 (800x533)Wir rammen unsere Stöcke in den Schnee um einen besseren Halt zu bekommen, als ich meinen wieder rausziehe, funkelt es von unten strahlend blau. Scheiße…wir sind auf einem Gletscher! Obwohl mir dieser Gedanke nicht gefällt laufe ich weiter. Schneefelder sind kaum von Eisfeldern zu unterscheiden, hinzu kommt der starke Wind, der uns nur mühsam voran kommen lässt. Immer wieder fallen wir hin, weil er uns die Füße wegfegt. Spätestens jetzt sollten wir umdrehen, aber wir tun es nicht…

Wir machen hinter einem großen Felsvorsprung, der uns Schutz vor dem Wind bietet, eine Pause. Gegenüber sehen wir einen Berg, auf dem etwas ist, was ein Gipfelkreuz sein könnte. Wir sind uns einig, da gehen wir hin. Wir teilen uns eine Orange und Nina muss mich zum trinken zwingen. Verschiedenes 116 (800x533)Ich habe gar keinen Durst mehr, fühle mich wie besoffen und fange einfach so an zu lachen. Das muss das Verzweiflungslachen sein. Wir kämpfen uns auf den Grat des Berges, da sollten wir einfacher voran kommen, denn wir gehen die ganze Zeit in Schräglage querfeldein. Auf dem Grat angekommen, bekommen wir sofort die Stärke des Windes zu spüren. Wir können uns gegen ihn lehnen ohne umzufallen, aber setzen wir zu einem neuen Schritt an, reißt er uns die Füße weg. Nachdem ich mehrmals gestürzt bin, schlage ich wütend mit meinem Stock auf den Boden und brülle: „ Verdammte Scheiße!“ Total sinnlos mein kleiner Wutausbruch, es kostet mich nur unnötig Kraft.

Warum drehen wir nicht um? Ich weiß es nicht…

 Mitten im Sturm auf dem Gipfel

Endlich erreichen wir den Gipfel! Aber genießen ist nicht! Nina stürzt auf der Kuppe, wo es beginnt gerade zu werden. Sie klammert sich an ihren Stock, der im Schnee steckt und versucht sich aufzurichten, aber es gelingt ihr nicht. Stattdessen liegt sie auf dem kalten Boden und ich sehe wie sie sich bewegt…nicht weil sie es will…der Wind schiebt sie immer näher zum Abgrund…

Nein! Ich will ihr helfen, komme aber selber nicht von der Stelle, ich stehe auf einer Eisplatte und der Wind drückt mich immer wieder runter. Ich kann nur hoffen, dass sie es selber schafft, während ich in meiner Position verharre und mich klein mache. Meine Hände werden blau und mein Gesicht fühlt sich starr an. Dann schafft sie es und stürmt zum Gipfel, wo sie sich hinter einem übereinandergeschichteten Steinhaufen, „versteckt“. Ich bleibe wo ich bin und versuche derweil meine Brille zu retten, die sich gerade versucht selbstständig zu machen und dabei erhasche ich einen wunderschönen Blick auf die Gebirgszüge der Sierra Nevada. Das sieht toll aus, aber leider kann ich es nicht genießen, denn irgendwie habe ich das Gefühl, das wir in Gefahr geraten sind…Verschiedenes 117 (800x533)Nina schafft es endlich zu mir zu gelangen und ihre Worte sind: „wir müssen so schnell wie möglich unter die Schneegrenze!“ Da bin ich ganz ihrer Meinung und wir lassen uns ohne darüber nachzudenken den Berg einfach runter rutschen. Das war eine blöde Idee, denn überall ragen Felsen aus dem Schnee. Wir nehmen so schnell Fahrt auf, dass wir die Geschwindigkeit nicht mehr kontrollieren können. Ich bekomme noch irgendwie einen Fels zu packen, sodaß ich anhalte und dann seh ich Nina an mir vorbei rauschen. Mir wird schlecht… aber Gott sei Dank bleibt sie ein paar Meter weiter liegen. Wir schauen uns an und beschließen das dies eine Scheißidee war!
Wir sammeln uns und gehen weiter, eigentlich rennen wir, wenn Wind und Weg es zulassen.

Ich glaube ich habe zwischendurch Angst, aber es ist eine Angst die ich nicht beschreiben kann, irgendwie nicht schlimm. Es fühlt sich alles leer an, als ob ich gar nichts fühle…

Erstmal aus der Gefahrenzone

Dann entkommen wir endlich dem Schnee und Eis, aber es ist trotzdem noch kalt. Wir rutschen im Stehen Abhänge runter auf der Suche nach unserer Schutzhütte. Ich habe die Orientierung komplett verloren und meine GPS Uhr scheinbar auch, bei ihr ist überall Norden. Und dann sehen wir etwas was aussieht wie unsere Hütte! Oh mein Gott, wir haben es geschafft! Jetzt spüre ich ganz große Erleichterung. Als wir näher kommen erkennen wir, dass es auf jeden Fall unsere Hütte ist und wir freuen uns riesig! Als ich meinen Rucksack aus der Hütte hole, fallen mir meine blutigen Hände auf, oh, gar nicht gemerkt. Nina´s sehen auch übel aus, aber wir haben keine Zeit uns das näher anzusehen, der Sturm hat uns eingeholt! Also bleibt uns wieder nichts anderes übrig als zu rennen. Es sind noch zwei Stunden bis nach Trevélez zurück. Irgendwann können wir den Sturm wieder abhängen und es beginnt leicht zu regnen. Die letzte Stunde laufen wir im Dunkeln und jetzt bekommen wir die Strapazen des Tages zu spüren, jeder Schritt wird zur Qual. Obwohl es nicht mehr weit ist, zieht sich der Weg bis ins Unendliche. Aber dann erreichen wir nach 31 km und 12 Stunden Trevélez!

Scheißaktion

Wir gehen in eine Kneipe und brauchen erstmal was zu trinken. Wir wissen, dass wir ganz schön Scheiße gebaut haben, was auch mal eben in einer Katastrophe hätte enden können, aber so richtig realisieren tun wir es, glaube ich, nicht. Unsere Hände sind offen, die Knie im Moment unbrauchbar, meine Hüfte ist blau, durch die zahlreichen Stürze und mein Handgelenk ist geschwollen und ebenfalls blau durch einen Sturz auf einen Felsen. Wir hätten noch nichtmal Hilfe holen können, mein Handy hat sich schon auf der Hälfte der Strecke verabschiedet und davon abgesehen gab es gar keinen Empfang. Zudem merke ich, dass ich nicht mehr richtig gucken kann, alles sieht weiß und verschleiert aus. Na toll, Schneeblindheit. Gott sei dank legt sich das nach ein paar Stunden wieder.

Ich habe keine Glücksgefühle, begreife noch nicht so richtig was da oben abgegangen ist. Ich weiß danach schon, dass es gefährlich war was wir gemacht haben, aber wie gefährlich es wirklich war, begreife ich erst Tage später…

Und dann der Schock – Wir waren gar nicht auf dem Mulhacén

Mir sollte es eigentlich egal sein wo wir waren, die Hauptsache ist, dass wir mit blauen Flecken und ein paar Schrammen davon gekommen sind und nichts Schlimmeres passiert ist. Nach ein paar Recherchen fand ich heraus, dass wir gar nicht auf dem Mulhacén waren, sondern auf dem Alcazaba (3371m), nicht der höchste, dafür der steilste Berg der Sierra Nevada. Und ich merke Enttäuschung…wie blöd! Ich war bei einem Unwetter auf einem 3000-er, ist doch egal auf welchem! Mir ist es scheinbar nicht egal, ich wollte unbedingt auf den Mulhacén! Also wird es nächste Jahr wohl Mulhacén 3.0 geben!

Warum kehrten wir nicht einfach um, als wir merkten, dass es brenzlich wird?

Ich habe auf diese Frage keine Antwort und kann es mir selber nicht erklären! Ich glaube ich war „high“ und wollte egal was es kostet auf diesen verdammten Berg und habe wahrscheinlich den Ernst der Lage gar nicht richtig erkannt. Erst als ich gesehen habe, dass Nina vom Wind bewegt wird, dämmerte es mir.

Ich kann nur jedem empfehlen auf das Wetter zu achten und es dann auch zu berücksichtigen. Sich aus falschem Stolz in Gefahr zu bringen ist es echt nicht wert. Wir hatten ein paar Schutzengel an unserer Seite und sind mit blauen Flecken und Schrammen davon gekommen, aber wir waren nicht weit davon entfernt, dass unser Trip in einer Katastrophe endet…Verschiedenes 114 (800x533)

 

 

Ein Gedanke zu „Mulhacén 2.0 – leichtsinnig, dumm, gefährlich“

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